Die orthodoxe Kirche ist den Christen des Westens oftmals fremd und weitgehend unbekannt; ihre Erwähnung ruft bei Menschen unseres Kulturkreises vielfach unterschiedliche Meinungen und Assoziationen hervor. Das eine Extrem der Urteile sieht in ihr eine altertümliche Form des Christentums, in der die Zeit stehen geblieben und in formalen Ritualen erstarrt ist. Das andere Extrem ist fasziniert von dieser Variante des Christentums mit seinen prachtvollen und imposanten liturgischen Zeremonien, der Ikonenverehrung, seinen Chorgesängen und dem Weihrauchduft. Beim heutigen Informationsüberfluss ist es traurig, dass viele Christen im Westen Europas wenig über die christliche Tradition der Menschen in Ost und Südosteuropa wissen. Die folgenden Texte machen mit dieser orthodoxen Lesart des Christentums vertraut..

WAS HEISST ORTHODOXIE?*

„Der Begriff Orthodoxie wird im allgemeinen deutschen Sprachgebrauch entsprechend der Etymologie des Adjektivs orthos (gerade, aufrecht, richtig, recht) und des Verbs dokeo (meinen, glauben, sich bekennen) als Bezeichnung für ein System verwendet, das an der strengen Doktrin festhält. So spricht man von orthodoxem Marxismus, Kommunismus („Betonköpfen“) oder Judentum als Grundhaltungen, deren Sorge der „reinen Lehre“ einer Religion oder Ideologie gilt. Darunter wird schließlich oft das engstirnige, unnachgiebige Festhalten an Dogmen und Lehrmeinungen verstanden, das dem Neuen verschlossen bleibt. Auf die orthodoxe Kirche bezogen, meint man, dass es sich um eine Kirche handelt, die sich als „recht-, strenggläubig“ versteht (Duden).

Dieses Verständnis, das die genannten negativen Implikationen assoziiert, widerspricht allerdings grundsätzlich der orthodoxen Wirklichkeit als lebendigem Organismus, der seinen Ausdruck im liturgischen Leben der Kirche findet. Daher erscheint dem Wesen der orthodoxen Kirche am ehesten eine andere – komplementär verstandene – Etymologie zu entsprechen, die vom Verb doxazo (preisen) ausgeht. Der rechte Glaube ist demnach nicht abstrakte Doktrin, sondern rechte Lobpreisung Gottes. Im Leben der Kirche, das eine Doxologie, ein Dank für das erfahrene Heil ist, wird die geoffenbarte Wahrheit in der Geschichte ununterbrochen manifestiert. Die Identität der Orthodoxie besteht weder in einem Lehrsystem gesicherter Wahrheiten noch in einem Organisationssystem, sondern in ihrer Liturgie, in der die Schöpfung die Gemeinschaft mit ihrem Schöpfer erfährt und in einer Theologie der Hymnen „das große Mysterium der Frömmigkeit“ doxologisch artikuliert, ohne die Absicht, eine verbindlich-lehrmäßige Formulierung zu geben.“

*folgender Text stammt aus: Anastasios Kallis: Brennender, nicht verbrennender Dornbusch, Theophano Verlag, Münster 1999, S. 15-16

Die orthodoxe Kirche ist die Familie von Kirchen, deren gemeinsamer Glaube auf den sieben ökumenischen Konzilien des ersten Jahrtausends basiert (bis zum II. Konzil von Nizäa 787). Sie bezeichnen sich selbst als die rechtgläubige allumfassende Kirche des Ostens.

Der konfessionelle Gegensatz zwischen „katholisch“ und „orthodox“ ist ein neuzeitliches Phänomen. Dagegen existieren seit der frühen Christenheit verschiedene Ostkirchen mit je eigener Tradition. Mit der Zeit bildeten sich Kirchenzentren, insbesondere die Patriarchate Rom, Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem, die je ein eigenes kirchliches Leben hatten, aber untereinander im Wesentlichen Gemeinschaft hielten. Durch Machtkämpfe zwischen Rom und Konstantinopel kam es immer wieder zu Streitigkeiten, die jedoch beigelegt werden konnten. Auch im Jahre 1054 war es wieder einmal soweit (gegenseitige Exkommunikation und Bannsprüche, die erst 1965 wieder aufgehoben wurden). Dieser Bruch war zwar nicht endgültig, führte aber durch die Eroberung Konstantinopels 1204 im vierten Kreuzzug dazu, dass die volle Gemeinschaft zwischen Rom und Konstantinopel nicht wiederhergestellt werden konnte.

DAS KIRCHENVERSTÄNDNIS DER ORTHODOXEN KIRCHE

Priester Radomir Kolundzic

Im Bewusstsein der orthodoxen Christen hat sich bis heute die Meinung erhalten, dass der Gang zur Kirche als Gang zum Gottesdienst, zur Liturgie, zur Eucharistie verstanden wird. Demnach wird das Wesen und Sein der Kirche in erster Linie in der Liturgie, im Gottesdienst offenbar. Die Kirche als Volk Gottes hat sich von Anfang an als eine um das Ereignis der Liturgie versammelte Gemeinschaft verstanden. Deshalb muss auch die Identität der Kirche in der Liturgie, in der Eucharistie gesucht werden.

Die gesamte orthodoxe Kirche existiert an mehreren Orten, versammelt um einen Bischof in der kleinsten Einheit, dem Bistum, das die gesamte Fülle der Kirche darstellt. Das Bistum ist unterteilt in Pfarreien, die auch Kirchen im vollen Sinne sind, da sie in eucharistischer Gemeinschaft mit dem Bischof stehen, der dem Priester den Auftrag und die Erlaubnis erteilt, an seiner Stelle die Eucharistie zu feiern. Jedes Bistum ist autonom, und kein Bischof darf sich in die Angelegenheiten eines anderen Bistums einmischen. Bistümer einer bestimmten Region oder eines Staates bilden zusammen die Ortskirche (z.B. die Kirche von Russland, Serbien, Rumänien, Griechenland usw.).

Die Bischöfe innerhalb einer Ortskirche treffen regelmäßig zu Synoden zusammen, unter dem Vorsitz eines Patriarchen, Metropoliten oder Erzbischofs. Diese Titel sind allerdings nur Ehrentitel und geben dem Inhaber kein Recht, sich in die Angelegenheiten eines Bistums einzumischen. Auch der ökumenische Patriarch von Konstantinopel, der erste Bischof in der Reihe der Patriarchen, ist keineswegs Oberhaupt der ganzen Kirche, sondern ein „primus inter pares“, ein Erster unter Gleichgestellten. Die Lokalsynode einer Ortskirche entscheidet in Fällen, die einen allgemeinen Charakter haben, also alle oder mehrere Bistümer betreffen. Die Lokalsynode ist unabhängig von den Synoden anderer Ortskirchen. Für Angelegenheiten, die die gesamte Kirche betreffen, tritt das Ökumenische Konzil zusammen. Es besteht aus allen Bischöfen aller Ortskirchen. Es tritt zusammen, wenn ein dogmatischer Streit aus Mangel an klaren Formulierungen des Glaubens die Einheit der Kirche bedroht. Das Konzil findet statt, um den rechten Glauben zu formulieren, gemäß der Heiligen Schrift und wie ihn das allgemeine Bewusstsein der Kirche von Anfang an erlebt hat.

Diese Synodalität, ausgedrückt in den lokalen Synoden und dem Ökumenischen Konzil, die zum Wesen der Kirche gehört, darf nicht, wie Anastasios Kallis schreibt, „auf die Synode eingeengt werden, denn die Synode ist keine unabdingbare Institution der Kirche, sondern ein Ereignis der Kirchengemeinschaft und der Glaubensübereinstimmung der Ortskirchen. Synodalität bedeutet gemeinsames Leben, das nicht durch ein Ordnungssystem verwirklicht wird, sondern durch das Band der Liebe im Heiligen Geist.“ Wie kommt Kirchenmitgliedschaft zustande?

Der Mensch tritt durch die Taufe in die Kirche ein. In ihr wird der Mensch geistlich wiedergeboren. Er wird zum Glied am Leibe Christi, indem er symbolisch an Tod und Auferstehung Christi teilnimmt. Die Taufe erfolgt im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Die Taufe ist unmittelbar mit der Myronsalbung (der Firmung oder Konfirmation) verbunden: das Myron symbolisiert die verschiedenen Gaben des Heiligen Geistes. Der Getaufte wird nun selbst zu einem „Christus“, d.h. dem Gesalbten, der „in das heilige Volk Gottes aufgenommen wird“.

Nach Taufe und Myronsalbung darf der Getaufte sofort an der Eucharistie teilnehmen. Gewissermaßen wird durch die Eucharistie das Ziel der Taufe und Myronsalbung erfüllt: Teilhaben am Leib Christi durch die gemeinsame Eucharistie.